Kompliment für den sächsischen Ministerpräsidenten. Er hat Mumm und wagte sich gestern in die Höhle des Löwen. Zufall oder nicht. Er taucht auf am Palaisteich beim samstäglichen Treff der "Verrückten Coronaleugner und rechten Verschwörungstheoretiker, von Putin initiert und der AfD organisiert".
Eine Menschenmenge ohne Sicherheitsabstand und Mundschutz. Kameras und erregte Bürger. Der Ministerpräsident mit seinem Fahrrad mitten drin.Mich erinnert das sofort an Wolfgang Berghofer, den Dresdner Oberbürgermeister, der am 9.10.1989 die "Gruppe der 20" im Rathaus empfing und damit wohl auch zur Deeskalation des Geschehens am gleichen Abend in Leipzig beitrug. Aber Vergleiche mit der Wende hinken, im Moment sowieso.
Mit dem Gesicht zum Volke. Herr Kretschmer muss sich erklären. "Ich weiß, dass sie nicht an Corona glauben" - großes Gelächter. Jeder hier weiß, dass es eine ernst zu nehmende Erkrankung ist. Also muss der Ministerpräsident nun darlegen, warum Covid-19 eben nicht "nur" eine Grippewelle ist. Wobei eine Grippewelle vor 2 Jahren laut RKI in Deutschland mehr als doppelt so viele Tote forderte wie Covid-19 bis jetzt.
Ich erwarte nun Zahlen und Fakten. Aber stattdessen höre ich eine Geschichte. Die Geschichte aus der Zeitung von einer kerngesunden Pflegerin, die in Kretschmers Wahlkreis aufgrund einer Infektion im Altenheim schwer an Corona erkrankt ist.
Im erregten Stil von Regine Hildebrandt (†) werfe ich ein: "Ja genau, das ist das Problem: Die Politik lässt sich von Bildern und Geschichten inspirieren." Ich sage, dass wir nie wieder zur Ruhe kommen würden, wenn wir eine Live-Kamera auf der Intensivstation laufen ließen. Tausende sterben da täglich, an vielen Krankheiten, z.B. an Krebs. "Krebs ist aber nicht ansteckend" meint Kretschmer. Danke für den Hinweis. Er ist ein Indiz dafür, dass die hunderte Milliarden teure "Aktion Leben retten" offenbar wirklich davon ausging, dass die Zahl der Coronatoten (Stand jetzt: 8000 ) die der jährlichen Krebstoten (270 000) erreichen könnte. Ganz abgesehen davon, dass der Virus im angenommenen "Worst Case" auch viele von denen getötet hätte, die 2020 leider an Krebs versterben werden. Doch dazu müsste sich die Zahl der Coronatoten in Deutschland noch verdreißigfachen. In diesem Jahr. Und das bei einer seit Anfang April stetig fallenden Zahl von täglichen Todesfällen.
Egal. Es war mir unmöglich zur Nennung der mir bekannten Zahlen im Vergleich Covid-19/Influenza zu kommen. Der Ministerpräsident ist immer schneller und sagt "... langsam, langsam".
Er gehörte zu jenem Kreis, der in Deutschland über Wochen die Geschicke des Landes lenkte und neben Laschet zählt er immerhin zu den "Öffnern". Auch das meine ich als Kompliment.
Mich interessiert sehr, von welchen Informationen und welchem Denken das Handeln der Politiker wirklich geleitet ist. Immerhin haben wir es mit der mit Abstand heftigsten politischen Reaktion auf eine Atemwegsepidemie der Menschheitsgeschichte zu tun.
Zum Vergleich: Wie war die allgemeine politische Reaktion zu Zeiten der spanischen Grippe, die gegenüber Covid19 (Stand jetzt) 300 mal mehr Todesopfer weltweit forderte? Extrem unheftig, negativ heftig sogar: man verschwieg nicht nur, man vertuschte.
Es sei also erlaubt, die aktuelle Reaktion in das Verhältnis zur durchaus bekannten statistischen Gefahr der Erkrankung zu setzen.
Ich hege nach diesem kurzen Wortgefecht mit Herrn Kretschmer aber umso mehr den Verdacht, dass die Politiker tatsächlich von einem "Killervirus light" ausgehen, der ohne das konsequente Handeln der Politik Millionen getötet hätte und es ohne den Impfstoff auch wieder tun könnte. Es sei nebenbei bemerkt, dass seit Mitte April auch die weltweit gemeldeten täglichen Todesfälle sinken. Wir sind jetzt bei 300 000 Toten weltweit. Das sind fast alles Menschen am Ende der Lebenserwartung, die in einer historisch einzigartigen flächendeckenden Todesursachenerfassung Covid-19 auf dem Totenschein stehen haben.
Was belegt die Idee der außerordentlichen, in alle Lebensbereiche eingreifenden Gefahrenabwehr. Wie sehen die Fakten aus?
Covid-19
Mortalität: 0,36%, Sterbedurchschnittsalter: 80, Basisreproduktionsfaktor: 2-3
(Heftige) Influenza:
Mortalität: 0,2%, Sterbedurchschnittsalter: 80, Basisreproduktionsfaktor: 2
Eine "heftige Grippewelle" kommt hin und wieder zustande, nämlich wenn ein "neuartiger" Influenza-Erreger, den die Impfstoffentwickler nicht auf dem Plan hatten, zu einem für ihn günstigen Zeitpunkt auftaucht. Es existiert dann keine durch Impfung künstlich hergestellte Herdenimmunität und die Welle kommt ins Rollen.
Anhand der Fakten kann man durchaus ableiten, dass Covid-19 statistisch gesehen etwas gefährlicher als eine Grippewelle ist. Die Daten waren im März bekannt und haben unter anderem dazu geführt, dass das RKI am 2.3.2020 die Bedrohung für "mäßig" hielt. Im Januar noch wurden die besorgten Gemüter beruhigt, dass es allen aus China heimgekehrten Erkrankten auffallend gut ging und sie bald wieder gesund sind. Erinnern Sie sich?
Anhand der vorhandenen Daten müsste man zu dem vernünftigen Schluss kommen, dass man ein bisschen mehr machen sollte als "gar nichts". Denn "gar nichts" hat man bisher bei allen Grippewellen gemacht. Und "ein bisschen mehr" war genau das, was man Mitte März gemacht hat:
1. Großveranstaltungen für einen bestimmten Zeitraum absagen.
2. Bewusstsein schaffen. Hygieneregeln.
Punkt. Mehr ist nicht nötig und mehr ist auch nicht drin, weil es kaum was bringt aber total viel kostet. Die Daten belegen im Nachhinein sogar, dass offenbar genau diese zwei Maßnahmen in Deutschland den Replikationsfaktor R ganz schnell von R=3 auf knapp unter R=1 gedrückt haben. Und das reicht, um die Epidemie zu bewältigen. So hat es Weißrussland, warum auch immer, gemacht. Bisher blieb die Katastrophe dort aus, bisher sind die Zahlen von dort sogar besser als im Rest Europas. Die WHO war dort.
Ja, ich weiß: nachher wissen alle alles besser. Lass ich aber nicht gelten. Spätestens zu Ostern war klar, dass die Katastrophe ausbleibt. Ab dort ist Kritik absolut berechtigt. Doch da man sich zu diesem Zeitpunkt ja ganz am Anfang eines Marathons wähnte, hieß es nun: "Viel hilft viel. Wir machen weiter. Jetzt erst recht. Einer geht noch."
Jetzt haben wir Mitte Mai. Seit Anfang April kennen die Zahlen trotz aller Öffnung immer nur eine Richtung: unten. Und wann fällt bei den Politikern endlich der Groschen?
Kretschmer erwähnte in der Diskussion übrigens die Namen Trump und Putin. Klar, in der Politik sucht man den Vergleich untereinander, auch Wettbewerb genannt. Wer schützt sein Land am besten vor Corona? Lauteten die Meldungen nicht so ähnlich? Am deutschen Gesundheitswesen soll die Welt genesen. "Deutschland verspielt seinen Vorsprung im Kampf gegen den Virus, wenn wir jetzt schon öffnen". sagte Karl Lauterbach vor paar Wochen bei der Illnern. Da saß Kretschmer übrigens neben ihm. Gibt es einen Satz, der in Zeiten der Pandemie entlarvender wäre, was die Motive des Kampfes angeht? Ist die Bevölkerung eine Menge von Spielzeugindianern in einem Sandkastenspiel der politischen Seuchenbesieger?
Dem "Öffner" Kretschmer hat die Realität bisher recht gegeben.
Liebe Verschwörungstheoretiker! Meiner Meinung nach sind Politiker nicht in der Lage sich zu verschwören. Selbst wenn sie sich in geheimen Zirkeln treffen, reden sie über das, was sie aus Zeitungen und aus dem Fernsehen erfahren haben. Sie reagieren auf Bilder und Geschichten und würden darüber schnell alle Vereinbarungen einer Verschwörung vergessen.
Es gibt zu viele Beispiele der jüngeren Geschichte, die zeigen, dass Politiker, Journalisten und auch Wissenschaftler von Geschichten und Bildern mehr beeindruckt sind als von Fakten und von logischen Gedankengängen.
Die Situation in Deutschland ist: Weder der "Worst Case", noch der "Best Case" sind eingetreten. Es ist bisher der "Unexpected Case" eingetreten. Keine abgeflachte Kurve, keine Wellen, kein Plateau, sondern der klassische Verlauf einer saisonalen Atemwegsepidemie, der politische Maßnahmen offenbar relativ egal sind.
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